Jugoslawien in den 90 Jahren

Krieg und Vertreibung im ehemaligen Jugoslawien: Das Beispiel Bosnien und Herzegowina

Krieg und Vertreibung im ehemaligen Jugoslawien: Das Beispiel Bosnien und Herzegowina

Die Kriege beim Zerfall Jugoslawiens waren die blutigsten Kampfhandlungen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Etwa 300.000 Menschen kamen dabei ums Leben, Millionen verloren zeitweise oder dauerhaft ihre Heimat. Die Fernsehbilder von Menschen auf der Flucht in Kroatien, Bosnien oder im Kosovo gaben dem Thema Flucht und Vertreibung, das die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert durchzieht, beklemmende Aktualität. Nach der Euphorie von 1989 über den Fall des Eisernen Vorhangs wirkten entfesselte Gewalt und unmenschliche Exzesse wie Massenvergewaltigungen oder der Genozid an den Bosniern in Srebrenica 1995 um so verstörender. In Deutschland und anderen Ländern Europas riefen sie die Erinnerung an eigene Vertreibungstraumata wach. Gleichzeitig bestärkten die Ereignisse auf dem Balkan Menschen in ganz Europa, Vertreibung als Mittel der Politik völkerrechtlich zu ächten.
Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, seit 1929 Jugoslawien (Land der Südslawen), entstand 1918 als Zerfallsprodukt der Donaumonarchie. Bereits zwischen den Weltkriegen kam es zu Spannungen zwischen den Völkern Jugoslawiens, besonders zwischen Serben und Kroaten, da die Serben einen Zentralstaat auf Kosten der anderen Völker anstrebten. Im Zweiten Weltkrieg schürten die deutschen Besatzer die Rivalitäten zwischen Kroaten und Serben und unterstützten das faschistische Ustascha-Regime in Kroatien. Während der folgenden Partisanenkämpfe starben Hunderttausende. Tito, der Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg erneut einte, gelang es, durch die Schaffung von sechs formal gleichberechtigten Teilrepubliken eine Machtbalance zwischen den Völkern herzustellen. National besetzte Konfliktthemen waren tabuisiert, doch trotz der kommunistischen Ideologie der Völkerfreundschaft blieb die blutige Vergangenheit unbewältigt.

Die Karte zeigt in einer stark vereinfachten Darstellung Fluchtbewegungen in Bosnien und Herzegowina und angrenzenden Regionen während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien 1991–1995 / 99. Zeitweise waren in diesen Gebieten etwa 5 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten innerhalb der Grenzen des ehemaligen Jugoslawien. © Stefan Walter, Berlin

Der Zerfall Jugoslawiens

Nach Titos Tod 1980 und einer verheerenden Wirtschaftskrise meldeten sich ungelöste nationale Probleme und irrationale ethnische Konflikte mit ungeahnter Sprengkraft zurück. Das Experiment Jugoslawien scheiterte, das Land zerfiel. Slobodan Milos’evic’ nutzte serbische Bedrohungsängste zur Machtübernahme innerhalb der serbischen kommunistischen Partei. 1989 hob er die Autonomie des Kosovo und der Vojvodina auf und trat damit eine Lawine los. In dem eskalierenden Streit um die Kompetenz im jugoslawischen Bundesstaat entschieden sich die Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Makedonien 1990/91 für den Weg in die Unabhängigkeit. Auch in der kroatischen Hauptstadt Zagreb griff ähnlich wie in Belgrad ein übersteigerter Nationalismus um sich. Während das kleine, ethnisch homogene Slowenien sich rasch dem Zugriff der Serben entziehen konnte, mussten die schlecht gerüsteten Kroaten und bosnischen Muslime 1991–1995 und die Albaner im Kosovo 1998/99 einen mörderischen Kampf gegen die serbische Armee bestehen, die über die jugoslawischen Waffenarsenale verfügte. Milosevic wurde 2001 an das Haager Menschenrechtstribunal ausgeliefert und wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Er verstarb 2006 in der Haft.

Kriegsbedingte Vertreibungen

Die Vertreibungen während der Kriege in Ex-Jugoslawien waren keine Begleiterscheinungen, sondern integraler Bestandteil der Kriegsführung, ja eigentliches Kriegsziel. Alle kriegführenden Parteien verfolgten die Strategie, möglichst große Territorien zu erobern und andere Ethnien daraus zu vertreiben. Dass Vertreibung in Genozid übergehen kann, zeigt die Ermordung von 7.000-8.000 Muslimen durch bosnische Serben in Srebrenica im Juli 1995. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag stellte fest, dass für dieses Verbrechen alle Tatbestände des Völkermordes erfüllt seien. Obgleich Serbien die Hauptschuld an den Kriegen trägt und Serben die umfangreichsten Vertreibungen durchgeführt haben, wurden sie auch Vertreibungsopfer. Auch die anderen Völker Ex-Jugoslawiens, insbesondere Kroaten, Bosnier und Kosovo-Albaner, haben Vertreibungen initiiert. In Bosnien und Herzegowina, deren Hauptstadt Sarajewo vor dem Krieg als Symbol für das Zusammenleben verschiedener Kulturen galt, bekämpften sich bis 1995 Serben, Kroaten und bosnische Muslime, wobei die Kroaten zeitweise mit den Serben, dann mit den Bosniern paktierten. Mit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 wurde ein noch immer fragiler Friedensprozess eingeleitet.

Das Abkommen von Dayton

Das Friedensabkommen von Dayton 1995 ist das erste völkerrechtliche Dokument, das Vertreibungen nicht nur ausdrücklich ächtet, sondern den Vertriebenen auch das Recht auf Rückkehr in die Heimat verbrieft. Zuvor waren andere Friedensinitiativen, die die Teilung von Bosnien und Herzegowina vorsahen, vor allem am Widerstand Serbiens gescheitert. In Dayton wurde vereinbart, dass die drei Völker gemeinsam in einem Staat leben sollten. Noch immer sind Zehntausende von Familien aus Angst vor erneuten Gewalttaten oder da sie ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden, nicht in ihre Heimat zurückgekehrt. Doch konnten unter dem Schutz der internationalen Friedenstruppen Hunderttausende den Weg zurück in die Gebiete antreten, aus denen sie geflohen waren. De facto hat sich aber die durch den Krieg hervorgerufene ethnische Entmischung und regionale Dreiteilung des Landes verfestigt. Zwei Drittel der Bevölkerung unter 30 Jahren würden auswandern, wenn man sie ließe. Ob Bosnien-Herzegowina, dessen Wirtschaft weiter am Boden liegt, nach dem Abzug von Friedenstruppen und EU-Verwaltung den drei dort lebenden Völkern eine friedliche Zukunft gewährleisten kann, bleibt abzuwarten.