Die Deutschen am Ende des 2. Weltkriegs

Die Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs

Die Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs

Die Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges aus Mittel-, Ost-, und Südosteuropa. © Stefan Walter, Berlin

Im Oktober 1944 überschritt die Rote Armee in Ostpreußen erstmals die Reichsgrenze. Massaker unter der Zivilbevölkerung verbreiteten panische Angst vor den Sowjetsoldaten. Im Januar 1945 begann die sowjetische Winteroffensive. Bei der Evakuierung der Bevölkerung im eiskalten Winter versagten die NS-Behörden weitgehend. Der Befehl zur Räumung von Gebieten kam meist viel zu spät. Dahinter stand die zunehmend wahnhafte Idee, dass der Vormarsch der Roten Armee auf deutschem Boden gestoppt werden könnte. Jeder Quadratmeter Boden sollte verteidigt werden. Eigenmächtige Flucht vor der nahenden Front konnte mit dem Tode bestraft werden. Wenn endlich der Evakuierungsbefehl gegeben wurde, konnte die Eisenbahn nur die wenigsten Flüchtenden aufnehmen. Die meisten flohen zu Fuß oder mit Pferd und Wagen bei Temperaturen von bis zu minus 30 Grad. Allein von 200.000 zu Fuß Flüchtenden aus Breslau sollen 90.000 erfroren sein. Ein Großteil der Flüchtlinge wurde von russischen Panzern eingeholt. Diese fuhren mutwillig in Flüchtlingstrecks. Unzählige Zivilisten wurden erschossen, wohl Hunderttausende Frauen von sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Die Küstenanrainer versuchten über das gefrorene Haff und mit Schiffen über die Ostsee zu flüchten. Tragödien spielten sich beim Untergang torpedierter Flüchtlingsschiffe ab, für die der Name der versenkten „Wilhelm Gustloff“ zum Synonym wurde.

Flucht der deutschen Zivilbevölkerung vor der Roten Armee

Im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts vom 23.8.1939 beschlossen die Diktatoren die Aufteilung Polens zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich. Das deutsch besetzte Gebiet wurde in die Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland sowie das „Generalgouvernement“ unterteilt. Aus Danzig-Westpreußen, dem Wartheland, aus Oberschlesien, dem Bezirk Zichenau (Ciechanów) und dem Kreis Sudauen (Suwalki) wurden insgesamt etwa 840.000 Polen vertrieben oder deportiert, davon etwa 70.000-80.000 polnische Juden, die in Ghettos und später in Konzentrationslager verbracht wurden. Zwei Millionen polnische Zwangsarbeiter wurden ins Reich verschleppt. Von der Vertreibung waren die Angehörigen der polnischen Eliten besonders stark betroffen. Viele wurden unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen ermordet.
Die Westverschiebung Polens 1944/1945 führte zur Umsiedlung von etwa 1,2 Millionen Polen aus den von der Sowjetunion annektierten polnischen Ostgebieten (Galizien, Wolhynien, Weißrussland, Litauen) nach Polen sowie zur Vertreibung von rund 480.000 Ukrainern aus Polen in die Sowjetunion bis zum Sommer 1946. In der so genannten Aktion Weichsel erfolgte 1947 die Umsiedlung von 140.575 Ukrainern innerhalb Polens.
Im August 1941 wurden Litauen, Lettland und Estland in die Sowjetunion eingegliedert. Viele Bewohner wurden nach Sibirien verschleppt, gefoltert und getötet. Die Gesamtzahl der Opfer der ersten sowjetischen Besatzung zwischen Juni 1940 und Juni 1941 beläuft sich wahrscheinlich auf etwa 170.000. Eine zweite Massendeportation durch die Sowjetarmee folgte 1945, eine dritte 1949.

Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen in Polen und in der Ukraine 1939-1947. © Stefan Walter, Berlin

Vertreibungen unter polnischer Verwaltung

Im Juli 1944 hatten die Sowjetführung und die provisorische polnische Regierung in Lublin ein Geheimabkommen über die neue polnische Westgrenze geschlossen. Beiden war daran gelegen, bis zur ersten Nachkriegskonferenz der Siegermächte in den an Polen fallenden deutschen Gebieten unumkehrbare Fakten zu schaffen und möglichst viele Deutsche zu vertreiben. Schon im März 1945 übergaben die Sowjets die deutschen Ostprovinzen an die polnischen Behörden. Zu deren ersten Maßnahmen gehörte die Umbenennung von Orten und Straßen. Per Dekret verloren die Deutschen sämtliche Rechte sowie ihr Vermögen. Die verbliebenen Deutschen mussten überwiegend Zwangsarbeit leisten, ein Teil wurde in Lager gesperrt, ein Teil in die UdSSR verschleppt. Auf der Potsdamer Konferenz behauptete Stalin zunächst, östlich von Oder und Neiße gäbe es keine Deutschen mehr, da alle vor der Roten Armee geflohen seien. Tatsächlich befanden sich trotz der Vertreibungen noch mehrere Millionen Deutsche in diesen Gebieten. Das Potsdamer Protokoll forderte daher die „Überführung der deutschen Bevölkerung nach Deutschland auf geordnete und humane Weise“. Jedoch konnte davon keine Rede sein. Die Deutschen wurden Schritt um Schritt bis 1948 in Güterzügen vertrieben, soweit ihnen nicht noch die Flucht nach Westen gelang. Erst in der Schlussphase 1947 verbesserten sich die humanitären Bedingungen für die Transporte.

Vertreibung der Deutschen Minderheit aus Jugoslawien, Ungarn und Rumänien

Ein besonders hartes Schicksal traf die Deutschen in Jugoslawien. Etwa ein Drittel kam durch Krieg und Vertreibung um. Die Wehrmacht war während der Besatzung in Jugoslawien ab 1941 in erbitterte Partisanenkämpfe verwickelt und hatte zahlreiche Kriegsverbrechen begangen. Bei ihrem Rückzug 1944 flüchtete ein Teil der Deutschen. Die zurückgebliebenen Deutschen waren sich keinerlei Verbrechen gegenüber ihren jugoslawischen Nachbarn bewusst. Doch gegen sie entlud sich der Hass der Jugoslawen. Bis Mai 1945 wurden alle Deutschen in Lager gebracht, in denen auf Grund willkürlicher Tötungen, Hunger und Krankheiten eine extrem hohe Sterblichkeit herrschte. 60.000 Donauschwaben, ein Drittel der Internierten, verloren ihr Leben.
Auch die Hälfte der Deutschen in Ungarn musste 1946 ihre Heimat verlassen, doch unter weniger dramatischen Umständen. Der Vertreibung war gar eine Debatte im Parlament vorausgegangen, in der sich ungarische Politiker für den Verbleib der Deutschen ausgesprochen hatten. Den Deutschen in Rumänien blieb zwar die Vertreibung gen Westen erspart. Doch etwa 100.000 arbeitsfähige Deutsche, in der Mehrzahl Frauen, wurden zur Zwangsarbeit in die UdSSR verschleppt. Nahezu ein Drittel kam dabei um.

Die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei

Mit dem Zerfall Österreich-Ungarns am Ende des Ersten Weltkriegs entstand die Tschechoslowakei. Neben den Tschechen lebten in dem neuen Staat 2,3 Millionen Slowaken, 1,2 Millionen Ungarn und 3,3 Millionen Deutsche, die in der Zwischenkriegszeit in vielen Bereichen benachteiligt wurden. Zudem wurde die Frage des Selbstbestimmungsrechtes ausgesetzt. Angesichts dieser Situation und aufgrund der Kriegsdrohung Hitlers stimmten Großbritannien, Frankreich und Italien im Münchner Abkommen 1938 der Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland zu.
Im März 1939 annektierte Deutschland die Tschechoslowakei und errichtete das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“, verbunden mit zahlreichen Grausamkeiten der NS-Besatzungspolitik, der Unterdrückung, Deportation und Ermordung von Tschechen und Juden. Die von Konrad Henlein geführte nationalsozialistische Sudetendeutsche Partei hatte zudem die in der Tschechoslowakei lebenden Deutschen als antitschechisch und Hitler-freundlich diskreditiert.
Nach Kriegsende fielen Vertreibung und Zwangsumsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei besonders brutal und umfassend aus. Sie wurden in Arbeits- und Internierungslager abtransportiert, nicht wenige starben bei „wilden“ Vertreibungen durch Krankheit, Hunger, willkürliche Morde und Selbstmord. Die deutsche Bevölkerung musste bis zur Vertreibung weiße Armbinden mit einem schwarzen „N“ für „Némec“ (Deutscher) tragen.
Die vom tschechoslowakischen Präsidenten Eduard Benés 1945 erlassenen, bereits im Krieg vorbereiteten und bis heute umstrittenen Dekrete verordneten die Entrechtung und Enteignung von Deutschen und Ungarn und forcierten die im Potsdamer Protokoll 1945 akzeptierte „Überführung der deutschen Bevölkerungselemente nach Deutschland“. Die madjarische Bevölkerung wurde teils nach Ungarn vertrieben, teils ins Sudetenland deportiert, teils in ihrer Heimat belassen. Bis 1948 mussten mehr als drei Millionen Menschen die Tschechoslowakei verlassen.

zu den Bildern:
Alle Dokumente und Exponate vom Sudetendeutschen Archiv, München

Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostpreussen, Pommern und Schlesien

Die nahende Front löste die Flucht der Deutschen östlich von Oder und Neiße aus. Bereits die Bombardierung Königsbergs durch die Royal Air Force Ende August 1944 war für die Deutschen in Ostpreußen ein Schock. Die NS-Befehlshaber verbreiteten zwar Durchhalteparolen und verboten Evakuierungen. Dennoch löste die Angst vor der Roten Armee eine Massenflucht aus. Seit Januar 1945 war der Landweg nach Westen abgeschnitten. Die viel zu spät auf den Weg geschickten Trecks wurden von der Roten Armee überrollt oder schlugen den gefahrvollen Fluchtweg nach Danzig und Pommern über das zugefrorene Haff ein, der mit Glück in die Verschiffung über die Ostsee mündete.
Nach der Kapitulation und den „wilden“ Vertreibungen folgte die staatlich-bürokratische Zwangsaussiedlung aus den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten. Seit Mai 1945 wurden etwa 3,5 Millionen Deutsche aus den Oder-Neiße-Gebieten vertrieben. Das südliche Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, die Neumark, Schlesien und Danzig kamen unter polnische, das nördliche Ostpreußen mit Königsberg unter sowjetische Verwaltung. Teils in organisierten Sammeltransporten, teils individuell machten die Menschen sich auf den erzwungenen Weg, oft gingen Lagerhaft und Zwangsarbeit der Abschiebung voraus.

Gemeinsamer Text zu den Bildern:
Fritz A. Pfuhle (Professor für Freihandzeichnen an der Fakultät für Architektur) aus Danzig gehörte zu den nicht kriegsdienstverpflichteten Hochschulangehörigen, die im Januar 1945 auf das Schiff "Deutschland" evakuiert wurden. Begleitet wurde er von seiner Ehefrau Irene Pfuhle sowie seinen Töchtern Elisabeth Roggemann, geb. Pfuhle, und Gesa Pfuhle. Der einzige Sohn der Familie, Christian Pfuhle, erhielt am 14.1.1945 einen Marschbefehl und ist wahrscheinlich bei den Kämpfen im Raum ?odz ums Leben gekommen. Trotz Fluchtverbots erhielt die Familie Pfuhle einen eilig ausgestellten Marschbefehl, der ihnen nicht nur die lebensrettende Flucht, sondern sogar die Ausstellung von Lebensmittelkarten am Ankunftsort ermöglichte. Sie erreichten am 4.2.1945 Kiel, von dort gelangten sie weiter nach Nörten-Hardenberg, wo sie vom Grafen Hardenberg aufgenommen wurden. Auf Schloss Hardenberg verbrachten sie das Kriegsende und die ersten Nachkriegsjahre - davon berichtete Irene Pfuhle in ihrem Tagebuch. An Hab und Gut durfte die Familie auf ihre Flucht mehrere Koffer mitnehmen, von denen jedoch nur noch der hier gezeigte mit persönlichen Dokumenten erhalten ist.