Finnische Karelier 1939/40–1944

Die Umsiedlung der Finnischen Karelier 1939/40–1944

Die Umsiedlung der Finnischen Karelier 1939/40–1944

Am 30.11.1939 überfielen sowjetische Truppen Finnland. Die Sowjets betrachteten Finnland wie die baltischen Staaten als ihren Interessenbereich, wie es im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939 fixiert worden war. Nach dem Ende des so genannten Winterkriegs im März 1940 fielen große Teile im Osten, darunter Finnisch-Karelien, und im Norden Finnlands an die UdSSR. Bereits mit Ausbruch des Krieges hatten Evakuierungen begonnen. Insgesamt wurden etwa 420.000 Menschen aus den umkämpften Gebieten in die westlicheren Landesteile evakuiert, davon 407.000 Karelier. Die Mehrheit von ihnen kehrte zurück als die finnische Armee 1941 die verlorenen Gebiete zurückerobern konnte. Um dem Expansionsdrang Stalins zuvorzukommen, führte Finnland ab Juni 1941 mit Unterstützung der deutschen Wehrmacht den so genannten Fortsetzungskrieg gegen die Sowjetunion. Doch die Interessen der beiden Verbündeten waren zu verschieden. Ein Großangriff der Roten Armee im Sommer 1944 leitete den Rückzug der finnischen Armee aus den wiedereroberten Gebieten ein. Die Menschen wurden erneut evakuiert. Finnland schloss mit der militärisch überlegenen Sowjetunion einen Waffenstillstand. Darin wurde auch festgelegt, dass die deutschen Truppen aus Finnland vertrieben werden sollten. Dieser als Lapplandkrieg bezeichnete Feldzug endete im April 1945. Am 10.2.1947 unterzeichnete Finnland den Pariser Friedensvertrag, in dem der Grenzverlauf zwischen Finnland und der Sowjetunion bestätigt wurde. Annähernd die gesamte finnisch-karelische Bevölkerung hatte ihre Heimat verloren. Ansiedlung und Entschädigung der so genannten „Umsiedlerkarelier“ stellten die finnische Gesell¬schaft vor eine große Herausforderung, die jedoch in kurzer Zeit gemeistert wurde.

Die Karte zeigt die Grenzen zwischen Finnland und der Sowjetunion vor 1940 und nach den Gebietsverlusten 1940/44. Das Siedlungsgebiet der Karelier erstreckte sich über finnisches wie über sowjetisches Territorium. 1939/40 und 1944 mussten die Finnischen Karelier aus Grenz-Karelien, Ladoga-Karelien und von der karelischen Landenge ihre Heimat verlassen. © Stefan Walter

Karelien vor 1939

Die Karelier siedelten seit dem frühen Mittelalter in dem Gebiet vom Südosten des heutigen Finnlands über die karelische Landenge und den Ladogasee bis hinauf zum Weißen Meer. Seit dem 12. Jahrhundert geriet Karelien zum Kampfplatz zwischen westlichem und östlichem Christentum, zwischen dem zunächst katholischen, ab dem 16. Jahrhundert lutherisch-evangelischen Schweden und dem orthodoxen Russland. 1323 wurde Karelien das erste Mal geteilt. Kultur, Religion und Gesellschaft entwickelten sich in beiden Teilen unterschiedlich. Für die Folgezeit spricht man von einem finnischen und einem russischen Karelien. Die Grenzverläufe änderten sich im Laufe der Jahrhunderte mehrmals. 1809 fiel das gesamte finnische Gebiet an Russland. Finnisch-Karelien gehörte seither zu dem von Zar Alexander I. ausgerufenen Großfürstentum Finnland. Für die Kulturgeschichte und die Entwicklung einer nationalen Identität Finnlands im 19. Jahrhundert spielte Karelien eine wichtige Rolle. Das Material für das finnische Nationalepos „Kalevala“ wurde hauptsächlich hier zusammengetragen. Ende 1917 erklärte Finnland nach der russischen Revolution seine Unabhängigkeit. 1919 wurde die Republik Finnland gegründet, zu der auch Finnisch-Karelien gehörte.

Winterkrieg und erste Evakuierungen

Nach dem Einmarsch Deutschlands in Polen am 1.9.1939 forderte die Sowjetunion von Finnland u. a. die karelische Landenge mit ihrem Zugang nach Leningrad und einige militärische Stützpunkte. Als Finnland dieses Ansinnen ablehnte, überfiel die Sowjetunion das Land ohne Kriegserklärung am 30.11.1939. Aus Furcht vor einem bevorstehenden Kriegsausbruch war bereits im Oktober 1939 ein Teil der Bevölkerung aus den östlichen Gebieten evakuiert worden. Als es zunächst ruhig blieb, kehrten viele Menschen zurück und wurden von dem sowjetischen Angriff völlig überrascht. Nur wenige Tage nach ihrer Ankunft mussten sie erneut fliehen. Der Vertrag von Moskau vom 12.3.1940 beendete den Winterkrieg. Finnland wurde nicht besetzt, musste aber etwa sieben Prozent seines Territoriums an die Sowjetunion abtreten. Dazu gehörten Grenz- und Mittel-Karelien, die karelische Landenge sowie Petsamo, Salla und Kuusamo im Norden. Etwa 420.000 Menschen (fast zwölf Prozent der finnischen Bevölkerung) verließen während und nach dem Krieg die umkämpften Gebiete. 407.000 von ihnen waren Karelier. Ein Einquartierungsplan regelte ihre provisorische Unterkunft und ein Schnell-Besiedlungsgesetz die Landzuteilung.

Fortsetzungskrieg und Abermalige Umsiedlung

Ab Juni 1941 befand sich Finnland wieder im Krieg mit der Sowjetunion. Es gelang in den folgenden Monaten, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern. Etwa 70 Prozent der Evakuierten kehrten zurück. Im Sommer 1944 mussten sie erneut fliehen, als ein Großangriff der Roten Armee die finnischen Streitkräfte bis an die Grenzen von 1940 zurückdrängte. Mit dem Waffenstillstandsabkommen vom 19.9.1944 verlor Finnland dieselben Gebiete wie bereits im Winterkrieg. Das brachte auch wirtschaftliche Einbußen, denn Karelien hatte seit 1917 eine rasche Industrialisierung erlebt. Bedeutend war seine Holz- und Papierindustrie.
Vorrangigste Aufgabe war nun die Versorgung und Integration der Umsiedler. Wie schon 1940 war man bemüht, die Umsiedler gemeindeweise in zusammenhängenden Gebieten anzusiedeln. Vorübergehend waren die Evakuierten vor allem auf den Höfen der Einheimischen, zuweilen auch in öffentlichen Einrichtungen untergebracht. Das Prinzip der allgemeinen Entschädigungspolitik basierte auf einer höheren Steuerlast der Finnen. Mit diesem „Solidaritätsbeitrag“ konnten die Umsiedler auf der Grundlage eines Bodenbeschaffungsgesetzes von 1945 Land erwerben. Bis 1952 war die Ansiedlung abgeschlossen.