Italiener am Ende des Zweiten Weltkrieges

Die Vertreibung der Italiener am Ende des Zweiten Weltkrieges

Die Vertreibung der Italiener am Ende des Zweiten Weltkrieges aus Jugoslavien

Seit dem 11. Jahrhundert gehörte der Hauptteil von Julisch-Venezien zur Republik Venedig. Nach der Napoleonischen Besetzung fiel es an Österreich, nach dem Ersten Weltkrieg an Italien. Die Niederlage Italiens im Zweiten Weltkrieg führte zur Abtrennung von Italien. Triest, im 14. Jahrhundert kurz bei Venedig, fiel 1382 an Österreich und wurde dessen Adriahafen. Die italienische Nationalbewegung war in Triest während des Risorgimento und des Ersten Weltkrieges sehr aktiv. 1918 fiel die Stadt an Italien. Istrien blieb bis 1797 bei Venedig mit Ausnahme Inneristriens, wo Österreichs Einfluss vorherrschte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Istrien bis auf ein kleines Gebiet um Triest von Jugoslawien annektiert.
Fiume/Rijeka war im 17. Jahrhundert zwischen Venedig und Österreich umstritten, fiel aber an Habsburg. Seit 1776 war es Ungarns Zugang zum Mittelmeer. Die italienische Nationalbewegung war auch hier vor dem Ersten Weltkrieg sehr stark. 1918 war Fiume/Rijeka zwischen Italien und dem neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen umstritten. 1919/20 wurde die Stadt von der Miliz des italienischen Dichters und Abenteurers Gabriele D’Annunzio besetzt. Im Vertrag von Rapallo 1920 wurde sie Freistaat, 1924 mit den Inseln Cherso und Lussino Italien zugesprochen. 1945 fiel sie an Jugoslawien.
Die venezianische Herrschaft in Dalmatien begann im 11. Jahrhundert. Nach Napoleons Niederlage kam die Ostküste der Adria an Österreich. Die Hauptstadt Zara/Zadar hatte enge Bindungen an Italien. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzte Italien trotz Widerstandes der anderen ethnischen Gruppen viele dalmatinische Küstenorte. 1920 fiel Dalmatien an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bis auf Zara/Zadar und einige Inseln, diean Italien fielen. 1945 wurden auch diese Teil von Jugoslawien.

Die Karte zeigt Flucht und Vertreibung der Italiener aus Istrien und Dalmatien am Ende des Zweiten Weltkrieges in einer vereinfachten Darstellung. Die Flucht begann 1944 mit der Evakuierung von Zara/Zadar nach alliierter Bombardierung und hielt bis in die frühen 1960er Jahre an. © Stefan Walter, Berlin

Italienische Politik während des Faschismus

Die slawische Bevölkerung bildete in Städten und an der Küste Istriens eine Minderheit. Sie nahm im Landesinneren zu und stellte die Mehrheit an der dünn besiedelten Grenze. Fiume/Rijeka war eine Vielvölkerstadt mit italienischer Mehrheit. Entlang der Küste Dalmatiens siedelten überall Italiener, in Zara/Zadar bildeten sie die Mehrheit. In Triest und Fiume/Rijeka lebten viele Juden. Sie bildeten einen integralen Teil der italienischen Gesellschaft bis zu den „Rassegesetzen“ von 1938.
Die italienische Herrschaft verfolgte zwei Ziele:
Einerseits förderte sie staatliche Unternehmen, die Landgewinnung, Bergbau, Industrie und Handel betrieben, was allen ethnischen Gruppen zugute kam. So hatte die Stadt Zara/Zadar den Status eines Freihafens. Andererseits ging das faschistische Regime gegen politische, besonders kommunistische Gegner vor und verhängte gegen slowenische und kroatische Nationalisten harte Strafen wegen Gefährdung der Staatssicherheit. Die Zwangsitalienisierung wurde forciert, slawische Schulen und Zeitungen verboten. Italienisch wurde alleinige Sprache in Schulen und Kirchen, slawische Orts- und Familiennamen italienisiert. Faschistische Gruppen an der Grenze verhielten sich oft aggressiv gegenüber der slawischen Minderheit, wie auch die jugoslawischen Behörden in Dalmatien gegenüber Italienern.

Die „ethnischen Säuberungen“ – die „Foibe“

Während des Zweiten Weltkrieges waren „ethnische Säuberungen“ Teil des Kampfes der Jugoslawen gegen die deutschen Besatzer und ihre italienischen Verbündeten. Diese Gräueltaten fanden zeit-gleich mit der Deportation von Juden durch die Deutschen statt. Sie gingen nach Ende des Krieges weiter. Die Jugoslawen wollten sich für das vor dem Krieg erlittene Unrecht und die Unterdrückung des Widerstandes während der italienischen Besatzung Sloweniens 1942/43 rächen. Ziel war es, nicht nur Vertreter von faschistischer Armee, Partei und Behörden, sondern alle Italiener aus der Region zu vertreiben. Die Jugoslawen versuchten, italienisches Gebiet bis zum Fluss Tagliamento zu erobern. Der Ideologie des „Klassenkampfes“ zwischen armer Land- und reicher Stadtbevölkerung folgend, griffen sie zunächst das Großbürgertum, dann auch Vertreter anderer Schichten, Geistliche und Nichtkommunisten an. Durch den Terror sollte den Italienern jede Hoffnung genommen werden, auf ihrem Land bleiben zu können. Die Opfer, darunter Alte und Kinder, wurden tot oder lebendig in „foibe“, d. h. in tiefe Karstlöcher, Bergwerke oder Massengräber geworfen. Sie wurden im Meer ertränkt, starben während der Verschleppung oder verschwanden spurlos. Die größten Gewaltwellen herrschten 1943 nach dem Waffenstillstand der Italiener und bei Kriegsende 1945, als Marshall Titos Partisanen das gesamte Gebiet besetzten. Nach dem Krieg wurden „ethnische Säuberungen“ gegen Minderheiten eingesetzt, die das neue kommunistische Regime in Jugoslawien nicht anerkennenwollten. Die „ethnischen Säuberungen“ in Jugoslawien dauerten noch Jahre an. Man kann auch von „massenhafter politischer Gewalt“ sprechen. Die italienischen Kommunisten unterstützten Tito und trugen zur Verfolgung von Italienern bei, die sich der jugoslawischen Herrschaft nicht fügten. Eine genaue Zahl der Opfer, davon etwa 70 Prozent Zivilisten, gibt es nicht. Es können bis zu 12.000 sein, manche Historiker tendieren zu geringeren Zahlen. Da in unzugänglichen Gebieten nicht alle Leichen geborgen werden konnten und Jugoslawien den Zugang verwehrte, liegt die offizielle Zahl identifizierter Opfer bei nur 4.300.

Der Exodus

Ursachen für Flucht und Vertreibung der italienischen Bevölkerung waren vor allem die „ethnischen Säuberungen“, die alliierte Bombardierung von Zara/Zadar, die Ablehnung der neuen Machthaber und die unsicheren ökonomischen Verhältnisse. Jugoslawien hat nie ein Vertreibungsdekret erlassen, dennoch war die Vertreibung ein langer, kontinuierlicher Leidensweg zwischen 1943 und 1955. Nach der Aufgabe von Zara/Zadar 1944 gipfelte die erste Phase 1947 in der Vertreibung aus Fiume/Rijeka und Pola/Pula, nachdem die Städte und zwei Drittel von Istrien auf Grund des Pariser Friedensvertrages an Jugoslawien fielen.
Der zweite Massenexodus fand nach dem Londoner Abkommen von 1954 statt, welches den Rest von Istrien (die so genannte „B-Zone“) Jugoslawien zusprach. Triest und sein Umland (die „A-Zone“), bislang unter alliierter Verwaltung, fiel zurück an Italien. Das Abkommen von Osimo zwischen Italien und Jugoslawien 1975 bestätigte diese Aufteilung. Die Italiener durften nur wenig Gepäck und Geld mitnehmen, der Besitz musste aufgegeben werden. Die Ausreise erfolgte z. T. insgeheim auf dem Land- oder Seewege, mit Küstenbooten und Fischkuttern, im Falle von Pola/Pula mit italienischen Passagierdampfern. Selbst Ruderboote überquerten die Adria. Die Flüchtlinge gehörten zu allen Klassen, darunter drei Bischöfe mit ihren Geistlichen sowie Mönche und Nonnen. Insgesamt waren es wohl bis zu 300.000, von denen 240.000 nach Italien, der Rest in alle Welt emigriert ist. Nur wenige Italinner blieben in Jugoslawien. Sie waren nicht reisefähig oder sympathisierten mit dem Regime von Tito.

Das Schicksal der Flüchtlinge – Das verwehrte Gedenken

Das Exil war nicht einfach, doch ebenso kompliziert war die Aufnahme der Flüchtlinge in Italien, einem Land mit Millionen Arbeits- und Obdachlosen. Es gab über 100 staatliche Flüchtlingslager von Triest bis Sizilien und Sardinien, mit schwierigen hygienischen und sanitären Zuständen. Die katholische Kirche versuchte die Not zu lindern. Die Religion, die starke Rolle der Frauen in den Familien und das Bewusstsein der eigenen Identität hielten die Vertriebenen in einer misstrauischen oder gar feindlichen Umgebung zusammen. Italien verdrängte, dass es den Krieg verloren und dass die Mehrheit den Faschismus unterstützt hatte. Während der Friedensverhandlungen wollte Italien zwar den Exodus aus Julisch-Venezien im Hinblick auf eine Volksabstimmung stoppen. Doch letztlich scheute die Regierung ein Referendum, da dann die Südtiroler auch ein solches gefordert hätten. Die Linke betrachtete die Flüchtlinge als „Faschisten“, die sich Titos Sache verweigerten, oder als Nationalisten, die die Wahlen in Italien zugunsten der Rechten beeinflussen würden.

Ladenschild.
Ladenschild des Lebensmittelgeschäfts von Giovanni Petris in Parenzo (Perec), Istrien, in der Via Roma 29, von 1925 bis Juli 1947. Privatbesitz Familie Petris, Triest