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Erzwungene Wege, erstrebte Ziele
„Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“ ist der Titel der Wanderausstellung, die der Bund der Vertriebenen und das Zentrum gegen Vertreibungen erstmals im Jahre 2006 im Berliner Kronprinzenpalais der Öffentlichkeit gezeigt haben. Seither hat die Schau in modifizierter und erweiterter Form u. a. in Frankfurt am Main, Nürnberg, Erfurt, Recklinghausen und Hannover Station gemacht.
Anhand von Texttafeln, Abbildungen, Fotografien und Landkarten sowie persönlichen Gegenständen und Zeitzeugenberichten werden die erzwungenen Wege von mehr als 30 Völkern Europas im 20. Jahrhundert nachgezeichnet. Hinzu kommt, daß die Präsentation im DZM mit einer Abteilung über die Flucht, Vertreibung und Deportation der Donauschwaben nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert wurde. Zu sehen sind auch einige dingliche Exponate aus der Sammlung des Museums, darunter das Fluchtgepäck einer deutschen Familie aus Südungarn.
„Wir wollen mit unserer Stiftung, beginnend mit dieser Ausstellung, die Vertreibungsopfer der Vergessenheit entreißen. Wir wollen ihnen Fürsprecher sein. Alle Opfer von Genozid und Vertreibung brauchen einen Platz im historischen Gedächtnis Europas“, so Erika Steinbach MdB, die Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen.
Die Ausstellungskonzeption und Realisierung haben Katharina Klotz, Doris Müller-Toovey (Klotz/Müller-Toovey GbR, Berlin) und Wilfried Rogasch übernommen. Die beeindruckende Dokumentation bietet eine Gesamtschau unterschiedlicher Erscheinungsformen der erzwungenen Migration. Es werden auch historische Vorgänge dargestellt, die in Deutschland und im übrigen Europa weniger bekannt sind. Sie verdeutlichen, daß Vertreibungen im 20. Jahrhundert als gesamteuropäisches und nicht nur europäisches Phänomen zu betrachten sind. Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages, betont: „Flucht und Vertreibung sind eine scheinbar unendliche Geschichte. Sie handelt nicht nur von der Vergangenheit, sondern auch von der Gegenwart. “
Dokumentiert werden sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Ursachen, Auswirkungen und Folgen von Vertreibung. Erwähnung finden Ereignisse, beginnend mit dem Völkermord an den Armeniern im Jahre 1915 über die Vertreibung der Juden in Deutschland ab 1933 und die Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges bis hin zu den Kriegen um das zerfallende Jugoslawien in den Jahren um 1990. Neben menschlichen Tragödien werden auch kulturelle Verluste aufgedeckt.
Joachim Gauck, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen a. D., präzisiert: „Der Blick auf die vielen Vertreibungsnotstände zeigt uns, daß es letztlich bei dem Thema nicht um deutsche Heimattümelei geht, sondern um eins, das Individuen als Opfer von Mächten, meist Diktatoren und Despoten sieht, daß es um geraubte Menschenrechte geht und um den Verlust dessen, was unsere Verfassung in Artikel 1 in den Mittelpunkt stellt: Die Würde des Menschen. Möge die Ausstellung daran mitwirken, das Bewußtsein für diese Werte wachsen zu lassen und auch zu erkennen, daß ein ‚geläutertes‘ Geschichtsbild nicht beschädigt wird, wenn die Nation Trauer um eigenes Leid zuläßt.“
Die Ausstellung durchmißt zeitlich und räumlich das Europa des 20. Jahrhunderts. Nie zuvor waren so viele Menschen gezwungen, ihre angestammte Heimat zu verlassen. Das Vertreibungsgeschehen ist eng verknüpft mit der Geschichte der Nationalstaaten. Meist waren es ethnopolitische Gründe, die Staaten veranlaßten, Minderheiten aus ihrem Gebiet zu verjagen.
Neben aussagekräftigen Fotografien umfaßt die Schau auch die Schiffsglocke der „Wilhelm Gustloff“ oder einen Kinderschuh, der am Rande einer Strecke gefunden wurde, die deportierte Armenier zurückzulegen hatten. Der 168 Seiten starke Begleitband enthält historisch fundierte Hintergrundinformationen und gibt einen guten Überblick über den textlichen Teil der Schau. Hinzu kommen rund 130 Abbildungen, darunter Objekte, Landkarten und Fotografien. Dokumentiert wird auch die Eröffnungsveranstaltung in Berlin mit den Reden von Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, dem ungarischen Essayisten György Konrád, Joachim Gauck und Erika Steinbach. (KK)